Die preußische Eroberung Gelderns (1703)


von Ralf G. Jahn

  Inhaltsverzeichnis

Die unbesiegte Festung     Stadt und Festung Geldern (vor 1703)     Wird Geldern bayrisch?     Der französische Anspruch auf das spanische Erbe     Der Spanische Erbfolgekrieg (1701-1714)     Die Belagerung von Geldern     Die Inbesitznahme Gelderns     Preußen im Spanischen Erbfolgekrieg     Das Kriegsende     Geldern wird auch de jure preußisch     Die Stadt Geldern nach 1703     Glossar     Literatur

Beschießung Gelderns durch preußische Truppen 1703



     



     



Die preußische Eroberung Gelderns im Jahre 1703. In: Geldrischer Heimatkalender 2003, S. 36-52.

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Die unbesiegte Festung

Geldern hatte im Laufe seiner Geschichte eine Anzahl von Belagerungen auszuhalten. 1371, 1467 und 1479 wurde die mittelalterliche Ringfeste in den verschiedenen Auseinandersetzungen um die geldrische Erbfolge erfolglos eingeschlossen. Erst 1587 hatte eine Belagerung Erfolg, wenn auch nur durch den Verrat des im Dienste der Generalstaaten stehenden Schotten Patton. Wegen einer Ohrfeige, die er während eines Trinkgelages von dem Offizier der Generalstaaten Martin Schenk von Nideggen erhalten hatte, öffnete der Gouverneur Ariston Patton den Spaniern unter Oberst von Hautepenne in der Nacht vom 4. zum 5. Juli 1587 die Tore. 1592 nutzten die Generalstaaten einen Aufruhr der spanischen Soldateska zu einem erfolglosen Rückgewinnungsversuch. Gleiches geschah 1605, als die Besatzung Gelderns zur Belagerung von Wachtendonk abgezogen war. Selbst dem besten Feldherrn des Jahrhunderts, Prinz Moritz von Oranien, gelang es nicht, Geldern zu erobern. Die Belagerung durch Truppen der Generalstaaten unter Graf Heinrich Kasimir von Nassau vom 25. August 1638 verlief ebenfalls erfolglos. Nur der uneinnehmbaren Festung Geldern war es zu verdanken, dass Spanien das Oberquartier so lange gegen die militärisch überlegenen Generalstaaten behaupten konnte.

Im Rahmen der spanisch-französischen Kriege (Spanisch-Französischer Krieg 1635-1659), Devolutionskrieg 1667-1668, Niederländischer Krieg 1672-1679, Pfälzischer Krieg 1688-1697) ging man in Geldern ab 1667 erneut an die Modernisierung der Festungsanlagen. Orientiert an den Theorien französischer und niederländischer Festungsingenieure, zog sich der Ausbau des äußeren Befestigungsringes bis 1701 hin. Den 8 Bastionen wurde westlich des Harttores eine neunte hinzugefügt. Zum Schutze der Kurtinen (Mauerteile zwischen den Bastionen) wurde das Netz der Ravelins im Graben verengt und auf 9 vermehrt. Die wichtigste Veränderung aber war der Ausbau der Contrescarpe, des äußeren Grabens, zu einem dritten Verteidigungsring mit einem umfangreichen System von Bastionen und gedeckten Wegen. In diesem Zustand verblieb die Festung Geldern im wesentlichen bis zur Schleifung 1764.

War Geldern spanisch? Karl V. hatte Herzog Wilhelm von Jülich‑Kleve‑Berg im Vertrag von Venlo 1543 zum Verzicht auf das Herzogtum Geldern gezwungen. Seitdem war das Herzogtum Geldern rechtlich ein Reichslehen im Besitz Karls V., das dem burgundischen Länderkomplex zugehörig war. Die Rechtskonstruktion lebte wieder auf, die zu Zeiten Karls des Kühnen bestanden hatte. Durch diese Regelung fiel die politische Zwischeninstanz des Landesherren fort, die zwischen Reichsspitze und Territorium hätte wirken können, da Karl V. nun Kaiser und Herzog von Geldern in einer Person war. Noch im September 1543 erließ Karl V. mit dem „Tractaat van Venlo“ eine Herrschaftsordnung, die die Privilegien und Rechte der geldrischen Stände bestätigte. Kaiser Karl V. sah sich in erster Linie als unteilbarer Monarch im Sinne einer personalen Herrschaftsvorstellung und noch nicht als Träger verschiedener Ämter. Konfliktträchtig wurde die Situation nach der Abdankung des Kaisers (1555), als Kaisertum und spanische Oberherrschaft in den Niederlanden auseinander fielen. Während der spanische König reichsrechtlich immer noch Herzog von Geldern war, hatten sich Stände und Untertanen in einem Akt fortgesetzter Rebellion (Achtzigjähriger Krieg) nicht nur eine neue politische und kirchliche Ordnung gegeben, sondern sich auch einem anderen politischen Gemeinwesen angeschlossen (Utrechter Union vom 23.01.1579). Am 26.07.1581 setzte die Utrechter Union Philipp II. ab und schloss sich in den Generalstaaten zu einem losen Staatenbund zusammen (Republik der Vereinigten Niederlande), der aber erst 1648 völkerrechtlich anerkannt wurde. Fazit: Das (zuletzt nur noch aus dem Oberquartier bestehende) Herzogtum Geldern war staatsrechtlich gesehen immer noch ein Territorium des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, dessen Landesherr in Personalunion auch König von Spanien war. Einem spanischen Nationalstaat gehörte das Herzogtum nie an, die Gelderner waren keine spanischen Staatsbürger, spanisches Recht galt nicht automatisch.

„Spanisch-Geldern“. 1543 bis zum Aussterben der spanischen Habsburger (1700) waren das Herzogtum Geldern und das Königreich Spanien in Personalunion miteinander verbunden, zuletzt nur das Oberquartier mit der Hauptstadt Roermond. Die südlichen Niederlande (Hennegau, Flandern, Artois, Namur, Brabant, Luxemburg, Oberquartier) blieben bis zuletzt Teil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Um den Katholizismus zu retten, verzichtete der spanische König auf den Absolutismus. Von 1598 bis 1621 bildeten die habsburgischen Niederlande eine spanische Sekundogenitur, mit Erzherzog Albert von Österreich als Landesherren. Die Spanischen Niederlande waren seit 1621 beständig Haupt- oder Nebenkriegsschauplatz in den Auseinandersetzungen der europäischen Großmächte um die Hegemonialstellung auf dem Kontinent. Erst 1648 gab es eine völkerrechtlich klare Grenze zwischen dem „niederländischen“ und dem spanischen Machtbereich. ­ Der Madrider Hof war hoch verschuldet, ja nahezu bankrott, und er blieb es dauerhaft. Die geldrischen Stände besaßen seitdem eine Macht wie wenig andere. Sie konnten zu außerordentlichen Landtagen zusammentreten, hatten die Steuern zu bewilligen, schrieben eigene Steuern aus, beanspruchten vor Erlass neuer königlicher Verordnungen gehört zu werden und übten einen entscheidenden Einfluss auf den „souveränen Hof“ aus, der Verwaltung und Justiz des Herzogtums zugleich umfasste. Noch 1675 war die Justizpflege in den Ämtern und Herrlichkeiten vollständig in die Hand der Adligen des Landes geraten.

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Stadt und Festung Geldern (vor 1703)

Die starke Festung war bis 1764 die bedeutendste zwischen Rhein und Maas. Die spanische Garnison mit ihrem kasernierten Militär zählte einschließlich der Angehörigen rund 6.000 Köpfe, viel mehr als die heruntergekommene Bürgerschaft. Militärisch durch die mächtige Festung gesichert, blieb die Stadt nun auch geistlich mit seinem aktiven Karmeliterkloster eine Bastion der Gegenreformation. Bereits im 17. Jahrhundert folgte nach Roermond und Venlo in gewissem Abstand Geldern als drittwichtigste Stadt des Oberquartiers.

Die Stadt Geldern war von 9 großen Bastionen umgeben, die auf den geraden Langwällen lagen. Zwischen jeder Bastion befand sich, der Kurtine vorgelagert, ein Ravelin. Davor verlief, dem Winkel der Ravelins und der Bastionen folgend, der Zickzackgraben mit dem gedeckten Weg und dem Glacis. Das Glacis hatte nach einwärts doppelt gebrochene Flanken, die es ermöglichten, jeden Punkt des Festungsringes zu bestreichen. Rings um das Glacis war noch ein weiterer, gradliniger Graben angelegt, der von der Niers gespeist wurde. So lag der Contrescarpegraben jetzt als voll ausgebauter dritter Verteidigungsring vor dem bastionierten Schüttwall, hinter dem sich, durch den inneren Graben getrennt, die Stadtmauer verbarg. Als Ausfallswerke bestanden 4 Redouten, die vor dem äußeren Graben angelegt waren: vor dem Geldertor auf der Straße nach Nieukerk, vor dem Issumer Tor an der südlichen Seite der Straße nach Issum, nordöstlich vom Issumer Tor in der Flur „Auf dem Haeghe“ und vor der Glacisspitze vor dem Harttor am Haagschen Weg. Mit diesem Festungsgürtel war Geldern ein wichtiges Bollwerk des (ab 1700:) spanisch-französischen Machtblockes geworden.

Die Garnisonstruppen waren zuerst ausschließlich in den Bürgerhäusern untergebracht, und da sie oft sehr zahlreich waren, kam es auf die Dauer zu unhaltbaren Zuständen. Seit 1614 ließ die spanische Regierung zwar kleine Baracken als Kasernen für die Soldaten erbauen; aber sie waren nur für die Verheirateten bestimmt. Die anderen wurden weiter bei den Bürgern einquartiert. Immer wieder machte die Stadt Geldern Eingaben an die Regierung und bat um Abhilfe. Ihre stets wachsenden Sorgen und Schwierigkeiten sind in einer Menge Urkunden festgehalten, die den Niedergang der drittgrößten Stadt des Oberquartiers widerspiegeln. Das Bürgertum wurde allmählich von der starken Garnison erdrückt. Nach einer Eingabe der Stadt aus dem Jahre 1672 (Urk. Nr. 340) sei Geldern seit dem Verlust der Stadt Rheinberg (1633) Grenze geworden, und seitdem sei es überlastet mit der Garnison. Das Elend sei so groß, dass die meisten und bedeutendsten Bürger die Stadt verlassen hätten, da sie die Lasten nicht weiter tragen wollten. Außerdem seien vielen Leuten ihre Höfe und Erben verloren gegangen. Die Stadt habe keinen Verkehr, keinen Handel und sehe kein Herauskommen aus dem Elend, da sie seit dem Jahre 1633 nichts als eine Festung sei, angefüllt mit Kriegsvolk und umgeben von Morast. Sie habe nur 300-400 Häuser, die die ganze Garnison aufnehmen müssten, welche so groß sei, dass man 3,4, ja 5 Haushaltungen in einem Hause unterbringen müsse, und die Häuser seien meistens sehr klein. Dabei betrage die Kompanie des Gouverneurs ca. 1.500 Köpfe einschließlich Frauen und Kinder, außer den noch anderen, hier liegenden Truppen. Es käme häufig zu Streitigkeiten zwischen Bürgern und Soldaten.

Die Garnisonskosten gingen zwar eigentlich wie die Festungsbaukosten zu Lasten des Landes, aber die Stadt musste hier wie da die Gelder vorstrecken, und die Rückzahlung ließ oft lange auf sich warten, oder sie erreichte längst nicht den vorgestreckten Betrag. Das hat zum Ruin der Bürger beigetragen. 1701 beschloss man daher, dass wegen des elenden Zustandes der Stadt jetzt jede Wohnung ohne Rücksicht auf bisherige Immunität belegt werden wird (Urk. Nr. 342).

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Wird Geldern bayrisch?

Die spanische Linie des Hauses Habsburg drohte auszusterben. König Karl II. (1665–1700) war das Opfer einer besonders starken Inzucht. Er hatte statt 128 Ahnen nur 32, stammte nicht weniger als 14 mal von Johanna der Wahnsinnigen ab und war zum Regieren völlig unfähig.Seine Ehen blieben erwartungsgemäß kinderlos. Erbbrechtigt waren

  • Ludwig XIV. von Frankreich als Sohn der ältesten Tochter Philipps III. und als Gatte der ältesten Tochter Philipps IV. von Spanien;
  • Kaiser Leopold I. als Sohn der jüngsten Tochter Philipps III. und Gatte der jüngsten Tochter Philipps IV., außerdem als Haupt der österreichischen Linie des Hauses Habsburg;
  • Kurprinz Joseph Ferdinand von Bayern als Urenkel Philipps IV. und Enkel Karls II.
  • Noch zu Lebzeiten Karls II. wurde in Geheimverhandlungen zwischen Ludwig XIV. und den Seemächten, die im Sinne des europäischen Gleichgewichtes weder eine völlige Vereinigung der spanisch-österreichischen noch der spanisch-französischen Macht wünschten, der Kurprinz zum Haupterben bestimmt. Auch König Karl II. setzte den Bayernprinzen zum Universalerben und dessen Vater Max Emanuel zum Statthalter /Landvogt der Spanischen Niederlande in Brüssel ein (1692–1713). Das spanische Erbe einschließlich des Oberquartiers wäre also bayerisch geworden, wenn der Prinz nicht 1699 in Brüssel sechsjährig gestorben wäre. Und als der Erbonkel, der spanische König, gleich darauf gestorben ist, brach der Spanische Erbfolgekrieg (1701–1714) aus.

    Kurfürst Max Emanuel von Bayern, der sich in diesem Konflikt auf die Seite Frankreichs schlug, erlangte 1712 durch König Philipp V. die Anerkennung als „souveräner Fürst“ der Spanischen Niederlande, wobei sich diese Stellung am Ende allerdings auf Namur und Luxemburg beschränkte. 1716 wurden die südlichen Niederlande an Kaiser Karl VI. übergeben, Prinz Eugen wurde Landvogt (1716-1724).

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    Der französische Anspruch auf das spanische Erbe

    Der Pyrenäenfrieden (1659) räumte die kriegerischen Spannungen zwischen Frankreich und Spanien aus. Zugleich wurde die Heirat König Ludwigs XIV. von Frankreich mit der Infantin Maria Teresa von Spanien eingefädelt, als Unterpfand neuer friedlicher Nachbarschaft und Quelle des künftigen Erbanspruchs auf das spanische Königreich. Maria Teresa verzichtete zwar vertraglich auf jegliche Erbrechte an Spanien, aber Versailles hatte sich eine königlich angemessene Mitgift für die Braut ausbedungen: 500.000 Gulden, in Raten zahlbar; und nur für den Fall, dass Madrid die Mitgift schuldig bleiben würde, träte das potentielle Erbrecht der Infantin doch in Kraft. Als Spaniens letzter Habsburger im Jahre 1700 starb, war König Karl II. nicht nur die 500.000 Taler für Versailles schuldig geblieben, sondern überdies von französischen Intriganten beschwatzt worden, das Haus Bourbon in seinem Testament als Erbe einzusetzen. Ludwig XIV., über seine Mutter Anna von Österreich selbst ein halber Habsburger, beanspruchte nun, doppelt und dreifach legitimiert, das spanische Königreich für seinen Enkel Philipp (V.), Herzog von Anjou.

    Gleich zu Beginn des Jahres 1701 ließ König Ludwig XIV. im Einverständnis mit dem neuen König von Spanien die französischen Truppen in die spanischen Niederlande einrücken und eine Reihe von Festungen besetzen. Am 19. Februar 1702 wurde Philipp V. seitens der geldernschen Landstände zu Roermond gehuldigt.

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    Der Spanische Erbfolgekrieg (1701-1714)

    Das Wiener Haus Habsburg, an dessen Spitze Kaiser Leopold I. stand, fühlte sich von Versailles übertölpelt, rein formalistisch überspielt. Leopolds jüngerer Sohn Erzherzog Karl, der spätere Kaiser Karl VI. (1713–1740), wurde als Gegenkandidat Philipps von Anjou zu König Karl III. von Spanien erhoben und dazu eine große Koalition von Gegnern der französischen Hegemonie mobilisiert. Zu Wien gesellten sich London, Amsterdam und Länder des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, darunter Brandenburg-Preußen. Der Spanische Erbfolgekrieg war ein wechselvoller, ein schlachten- und opferreicher dynastischer Kabinettskrieg, der zum guten Teil auf deutschem Boden ausgefochten wurde. Die beiden prominentesten Feldherren waren der Herzog von Marlborough und Prinz Eugen von Savoyen. Die Kriegführung bewegte sich während des langen Krieges in denselben methodischen Bahnen, die dem 17. Jahrhundert eigentümlich waren, nur mit dem Unterschied, dass bedeutend größere Heere operierten. Armeen von 60.000 Mann, die im 17. Jahrhundert eine Ausnahme waren, bildeten nun die Regel. Heere von 100.000 Mann, in einiger Hand vereinigt, waren im Spanischen Erbfolgestreit keine Seltenheit. Der Festungskrieg spielte immer noch die Hauptrolle. Entscheidungskämpfe gab es verhältnismäßig wenig.

    Die Festungen in der strategischen Doktrin der Kabinettskriege. Die Kriegführung im Zeitalter des Absolutismus war durch das rationalistisch-mechanistische Denken in Systemen und das streng methodische Handeln gekennzeichnet.Traumatisches Freund- und Feindbild war den Soldaten der stehenden Heere fremd. Durch die Schonung der Truppen, durch die beschränkte Wirksamkeit der Lineartaktik und die Hemmnisse der Heeresversorgung bestimmt, waren das Hauptobjekt der absolutistischen Armeen nicht die feindlichen Streitkräfte, sondern deren Nachschub- und Stützpunktnetze. Der Besitz einer unangreifbaren Stellung, der die Lebensadern des Feindes bedrohte, war oft ein größerer Gewinn als die günstige Aussicht auf den heißerkämpften Schlachtensieg. Der überlegene Feldherr diktierte dem Gegner das Gesetz des Handelns, wenn er ihm die Einnahme einer vorteilhaften Position verwehrte oder ihn in eine nachteilige lockte, wenn er die eigene Operationslinie kurz hielt und die feindliche auf eine einzige beschränkte. Unter den logistischen Bedingungen der stehenden Heere wirkten sich die Bewegungsmanöver und Störaktionen viel stärker auf die Methodik der Strategie aus. Diese „Manöverstrategie“ glich einem Schachspiel, in dem sich die Feldherren gegenseitig durch geschickte Züge ausmanövrieren, d.h. mattzusetzen suchten.

    Die Grenzfestungen, zu denen auch Geldern zählte, bildeten die rückwärtige Versorgungsbasis des Heeres bei Kriegsbeginn. In ihrem Schutz konnten weitere Magazine errichtet werden, um auch die Versammlung größerer Truppenmassen logistisch zu sichern. Wer frühzeitig mit dieser Arbeit anfing und sie schneller ausführte als der Feind, der gewann die Initiative der Feldzugseröffnung. Als Hauptmagazinplätze dienten die Festungen schon im Frieden der Anlage großer Grundnahrungsmittelspeicher. Sie enthielten die Mehlvorräte und die trockene Fourage für den kriegsmäßigen Pferdebestand, Kornfutter, Heu und Häcksel.

    Mit der zweckmäßigen Anlage von Festungen befasste sich die Fortifikationslehre (Befestigungskunst). Als ihre Aufgabe betrachtete sie die Verstärkung von Geländeabschnitten durch künstliche Bauten und Vorrichtungen in einer Art, dass es auch Schwächeren möglich war, sich erfolgreich zu verteidigen. Mit der Verbesserung der Pulvergeschütze gewann der Angreifer ein immer größeres Übergewicht. So wurden die Festungsbauer gezwungen, in einer Wechselwirkung die Deckungen der Verteidiger den Angriffsmitteln ebenbürtig zu machen. Die Folge war ein ständiger Wettlauf von Angriffswirkung und Deckung.

    Für den Bau von Festungen galten folgende Forderungen:

    1. eine wirksame Abwehrmöglichkeit der Angriffe;
    2. beste Deckung bei der Abwehr;
    3. sichere Unterbringung der Verteidiger und ihrer Vorräte;
    4. eine solche zweckmäßige Anlage, dass eine Verteidigung auch abschnittsweise möglich war und Ausfälle zuließ.

    Entscheidend für die Größe einer Festungsanlage war die Zahl der Menschen und ihrer Versorgungsgüter, die untergebracht werden mussten. Das Ziel der Verteidigung musste sein, dem Angreifer die Annäherung an den Graben unmöglich zu machen.

    Die vollkommene Festungsanlage dieser Zeit (z.B. Neu-Breisach im Elsaß) ist gekennzeichnet durch eine doppelte Hauptumfassung. Dabei wird die innere Umfassung durch kleine bastionierte Türme und verbindende Kurtinen (Umwallungsmauern) gebildet. Die Türme bestehen aus einem kasemattierten Erdgeschoss für je zwei Geschütze an der Flanke. Die obere Plattform besitzt eine gemauerte Brustwehr, die nach vorn für die Verteidigung durch Gewehrschützen, nach den Seiten für je 2 Geschütze eingerichtet ist. Hauptaufgabe der Turmverteidigung ist die Seitenbestreichung des Hauptwalles. Eine Kehlmauer trennt den letzteren von der Plattform, die aber von dort aus verteidigt werden kann. Unter den Flanken der Kurtinen befinden sich mehrere Devensivkasematten für jeweils 2 Geschütze. Geräumige, den Türmen vorgelegte Bastionen, zwischen denen gebrochene Grabenstücke liegen, bilden die äußere Hauptumfassung. Immer ist die äußere Umfassung so angelegt, dass sie die innere gegen Abpraller deckt, während der Verteidiger auf der inneren Umfassung die äußere, in die der Feind eindringen könnte, völlig durch Feuer beherrscht. Vor den gebrochenen Grabenstücken, den Grabenscheren, liegt das Ravelin (Außenwerk, Bastion) mit einem Reduit. Das ganze wird von einem traversierten gedeckten Weg umschlossen, in dem bis zu 1.000 Mann Platz finden. Alle Escarpen und Conterescarpen sind bis zur Brustwehrkrone bzw. bis zum Bauhorizont (abgesetzte Bastionen und Ravelin) durch Mauerwerk verkleidet. Ein ausgedehntes Glacis stellt freies Schussfeld nach allen Seiten sicher. Außerdem schützen bombensichere Räume die Verteidiger der Festung.

    Vauban baute nicht nur vollkommene Festungen, er entwickelte auch ein neues Angriffsverfahren gegen sie. Von einem „Place d´armes“ aus legte er im Durchschnitt 3 Parallelen an, von denen jede dichter als die vorhergehende am Glacisrand lag. Aus den beiden hinteren Parallelen kämpfte die Artillerie des Angreifers die Geschütze der Festung nieder. Dabei feuerten auch Mörser auf Magazine, Kasernen und andere lohnende Ziele in der Stadt. Von der vordersten Parallele aus aber wurde eine Bresche geschossen. Die angreifende Infanterie grub sich in Sappen (Laufgräben) an die für die Bresche ausgewählten Stellen heran und brach ein, wenn die Bresche entstanden war. Auch die Technik der Minen und Gegenminen entwickelte Vauban zu hoher Vollkommenheit. Im Laufe der Zeit artete dieses Angriffsverfahren zu einem Schema aus. Man stellte dafür feste Regeln aus und errechnete sogar, wie lange eine Festung sich halten konnte. War diese Zeit erfüllt, so durfte der Verteidiger in Ehren kapitulieren.

    Wichtige Festungen waren fast immer das eigentliche Operationsziel, und von ihrer Wegnahme hing demzufolge der Erfolg des Feldzuges ab. Fiel sie dem Angreifer in die Hände, hatte er selbst einen starken Rückhalt für den Fall einer späteren Niederlage oder zum Bezug der Winterquartiere gewonnen. Der Feind brauchte wiederum Zeit zur Rückeroberung und das eigene Staatsgebiet blieb so lange verschont. Um Festungen entbrannten die heftigsten Kämpfe, auch zwischen einer zum Entsatz heranrückenden Armee und den Belagerungstruppen, die sogenannte „Oberservationskorps“ deckten. Kam es hierbei zu einer großen Schlacht, so entwickelte sie sich unvermeidbar aus einer beiderseitigen Zwangslage.

    Der Erfolg eines Feldzuges fand erst mit der Eroberung eine greifbare Form, Anerkennung für den Feldherrn, für den Politiker eine handfeste Realität. So kam es dazu, dass selbst vor Festungen ohne großen strategischen Wert ganze Armeen zu ihrer Belagerung oder zum Schutz verwendet wurden. Meist standen die erbrachten Opfer in keinem entsprechenden Verhältnis zum Vorteil, den der Besitz dieser Festung brachte. Sie aber mit der Armee zu umgehen, hielt man nicht für möglich, weil die Furcht bestand, dass ihre Besatzung die eigenen Operationslinien angreifen und unterbrechen könne. In einer Festung fand auch eine im Felde geschlagene Armee Hilfe, Verstärkung und Vorräte. Der Feind musste sich also zu einer Belagerung entschließen und war damit mit seinen Kräften gebunden. Der Erfolg des Feldzuges hing so von der Belagerung ab.

    Der Festungskrieg beherrschte damals das militärische Denken ganz Europas, Vauban bemerkte 1704, man hätte in den letzten beiden Jahrhunderten in den Niederlanden über 60 Schlachten geschlagen, aber mehr als 200 Belagerungen befestigter Plätze durchgeführt, ohne ihren Widerstand ganz brechen zu können. Der Grund dafür läge darin, dass die festen Plätze die verfolgenden siegreichen Armeen aufhielten und den feindlichen sehr sichere Zufluchtsstätten böten. Dadurch würden die Kriege in die Länge gezogen, was wiederum der Diplomatie erlaubte, etwaige Verlagerungen des Interesses bei den benachbarten Staaten zu erkunden und bisher bestehende Bündnisse völlig zu verändern.

    Der Kriegsverlauf am Niederrhein bis 1703.Ludwig XIV. hatte 1701 den Kurfürsten Max Emanuel von Bayern, Statthalter der Spanischen Niederlande, ganz auf seine Seite gebracht und dazu bewegt, in die von spanischen und holländischen Truppen besetzten belgischen Festungen starke französische Garnisonen aufzunehmen. Wiewohl die holländischen Kontingente nicht gefangengenommen, sondern in ihre Heimat entlassen wurden, rief die erwähnte Maßregel in den Niederlanden große Beunruhigung hervor und führte der dortigen Kriegspartei neue Anhänger zu. Dadurch, dass Ludwig XIV. französischen Kaufleuten im großen spanischen Reich in der westlichen Hemisphäre exklusive Handelskonzessionen sicherte, beunruhigte er die Briten und die Niederländer sehr. Auch hatte sich inzwischen eine englisch-niederländisch-deutsche Tradition, die Franzosen aus Flandern und aus dem Rheinland herauszuhalten, etabliert.

    Am 7. September 1701 kam die Tripelallianz Österreichs, Großbritanniens und der Niederlande gegen Frankreich und Spanien zustande. Beim Ausbruch des Spanischen Erbfolgekrieges standen auf der Seite Philipps von Anjou: Frankreich, Spanien, der Kurfürst von Bayern (soll „König von Burgund“ werden) und dessen Bruder, der Kurfürst von Köln, ferner (bis 1703) der Herzog von Savoyen (Frankreichs Machtsphäre). Das Recht des zweiten Thronbewerbers, des Erzherzogs Karl von Österreich, wurde verfochten von: Österreich, Preußen (Königskrone 1701), Hannover (englische Krone in Aussicht), dem größeren Teil der deutschen Fürsten, England, Holland und Dänemark, denen in der Folge noch Portugal und 1703 Savoyen beitraten. Das scheinbare Übergewicht der Gegner Ludwigs XIV. wurde wesentlich beeinträchtigt durch den schlechten Stand der materiellen Hilfsmittel der österreichischen und deutschen Länder, sowie durch stete Reibungen unter den Verbündeten, während der unumschränkte französische König die Kräfte eines reichen Landes straff zusammenfassen konnte.

    Angesichts des drohenden Kriegsausbruches ließ Ludwig XIV. sofort die Spanischen Niederlande besetzen. Schon im März 1701 rückten die französischen Truppen in Roermond, Venlo und Geldern ein und vereinigten sich mit den dortigen spanischen Garnisonen. Am 15. Mai 1702, Wilhelm III. von Oranien war kurz zuvor gestorben, erklärten die Verbündeten Frankreich den Krieg. Die Hauptursache des Krieges war, dass das europäische Gleichgewicht infolge der Erhebung eines Enkels Ludwigs XIV. auf den spanischen Thron gefährdet schien.

    Den Oberbefehl aller Landtruppen in den Niederlanden erhielt der englische Herzog (damals noch Graf) Marlborough, ein Feldherr ersten Ranges und Günstling der Königin Anna von England. Er befehligte insgesamt über 110.000 Mann, nämlich 70.000 Niederländer, 11.000 Braunschweiger und Hessen, 10.000 Preußen, 10.000 Engländer und 9.000 Dänen, während das französisch-spanische Heer unter dem tüchtigen, großen Aufgaben jedoch kaum gewachsenen Marschall Boufflers einen Stand von 95.000 Mann erreichte. Die französische Hauptarmee wurde bei Diest vereinigt, in und um Antwerpen standen die Spanier unter Bedmar, während eine dritte Armee unter Tserclaes de Tilly Flandern deckte. Das niederländische Hauptheer unter General Ginckel lag an der niederländischen Ostgrenze und Coehoorn stand bei Hulst. Der Graf von Nassau-Saarbrücken fiel mit seinem preußisch-niederländischen Korps im April 1702 in das von den Franzosen besetzte kurkölnische Gebiet ein und begann die Belagerung von Kaiserswerth. Als der mit dem Oberbefehl in den Niederlanden betraute Herzog von Burgund bei der französischen Armee eintraf, musste Boufflers den geplanten Entsatz von Kaiserswerth aufgeben und sich mit Burgund gegen Ginckel wenden. Dieser wich jeder Schlacht sorgsam aus und zog sich auf Nimwegen zurück. Dort wurde am 11. Juni seine Nachhut von den in Eilmärschen folgenden Franzosen geschlagen. Infolge der nachlässigen Verwaltung des Kriegsministers Chamillart fehlte es dem französischen Heer an Belagerungsgeschützen, um die holländischen Festungen anzugreifen, so dass viele kostbare Zeit verloren ging. Als der Belagerungspark endlich eintraf, war Marlboruogh mit ansehnlichen Verstärkungen in den Niederlanden angekommen und ergriff tatkräftig die Offensive. Am 26. Juli überschritt er die Maas und bedrohte Brabant. Um diese Provinz zu decken, nahmen Burgund und Boufflers an der Demer eine feste Stellung. Da Marlborough den Gegner nicht zu einer Feldschlacht bringen konnte, begann er mit der Eroberung der festen Plätze.

    Marlboruogh verdrängte die Franzosen aus dem Herzogtum Kleve und dem Oberquartier Geldern. Im Laufe des Jahres 1702 eroberten die verbündeten Briten und Niederländer (Generalstaaten), meistens unter besonderer Berücksichtigung preußischer Truppen, Kaiserswerth (15. Juni), Venlo (23. September), Stevensweert (2. Oktober), Roermond (7. Oktober) und Lüttich (14. Oktober). Auch einige wichtige Plätze des Erzstiftes Köln fielen in die Hände der Verbündeten. Nur die Festungen Rheinberg und Geldern blieben noch in den Händen der französisch-spanischen Allianz. Hierauf bezog der englische Feldherr in der Provinz Lüttich und nördlich davon seine Winterquartiere, Boufflers verschanzte sich in den neu angelegten Linien an der Mehaigne.

    Ende 1702 wäre Marlborough beinahe von Geldernschen Soldaten gefangen genommen worden. Als er nämlich die Maas hinab nach Holland fahren wollte, wurde unweit Venlo sein Schiff zur Nachtzeit von 35 Soldaten der Garnison Geldern überfallen. Der große Feldherr blieb aber unerkannt und entkam mit Hilfe eines falschen Passes, dessen Ungültigkeit in der Eile und bei der Dunkelheit nicht bemerkt wurde.

    Ludwig XIV., der im Jahre 1703 den Hauptschlag in Deutschland führen wollte, hatte das in Brabant stehende franko-spanische Heer unter Boufflers und Villeroi nicht in den Stand setzen können, angriffsweise vorzugehen. Im Mai 1703, bei Beginn der Operationen, verfügten die französischen Heerführer über 64.000 Mann gegenüber 100.000 Anglo-Holländern. Marlborough wollte aus seiner Überlegenheit Vorteil ziehen, sich auf Namur werfen und durch eine Entscheidungsschlacht den Weg nach Frankreich erkämpfen; doch wurde er an allen über die Spanischen Niederlande hinausgehenden Angriffsunternehmungen von den dem Heere beigegebenen holländischen Kriegskommissaren daran gehindert. Er brachte zunächst die letzten Plätze im Kurkölnischen, Rheinsberg und Bonn in seine Gewalt; hierauf wurde eine Unternehmung gegen Antwerpen geplant. Während Marlborough mit dem Hauptheer die beiden Marschälle am linken Maasufer in Schach hielt, sollten zwei starke holländische Detachements im Rücken des Feindes gegen Antwerpen vorgehen. Die eine dieser Abteilungen durchbrach unter Sparr am 27. Juni die bei Stekene neuangelegten Linien, während das zweite holländische Korps unter Obdam von dem in Eilmärschen herangerückten Boufflers nördlich von Antwerpen bei Eeckeren überrascht und am 30. Juni vollständig geschlagen wurde. Die Holländer machten für diesen Misserfolg Marlborough verantwortlich, zeigten sich jeder Offensive großen Stils noch mehr abgeneigt und hinderten den englischen Feldherrn am Durchbruch der feindlichen Linien an der Mehaigne. Nach der Einnahme von Huy und Limburg bezog man die Winterquartiere.

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    Die Belagerung von Geldern

    Den Feldzug des Jahres 1703 eröffneten die preußischen Truppen unter dem Kommando des Generalleutnants Graf Lottum mit der Belagerung von Rheinberg, das sich ihnen am 7. Februar durch Kapitulation ergab. Erst jetzt konnten die Preußen ihre ganze Macht gegen Geldern richten. Die spanische Besatzung bestand aus ungefähr 1.500 Mann, die unter dem Kommando des sehr umsichtigen Gouverneurs Don Domingo de Betis stand. Der Feind sollte nicht möglichst rasch vernichtet werden, sondern durch Verminderung seiner militärischen „Ressourcen“ an der weiteren Kriegsführung gehindert werden. Die Preußen befolgten zunächst die Taktik, der Stadt alle Zufuhren abzuschneiden und sie durch Aushungern zur Übergabe zu nötigen. Doch de Betis wusste sich den ganzen Sommer über durch sparsamen Gebrauch der vorhandenen Lebensmittel zu halten.

    Die Belagerten. Wenn eine Festung dem Feind mit Erfolg die Stirne bieten sollte, musste sie außer ihren festen Wällen auch eine zahlenmäßig starke, kampffähige Besatzung, viele Geschütze und Geschosse jeglicher Art besitzen. Sie musste auch über eine entsprechende Menge von Wasser und Nahrungsmitteln verfügen. Deshalb mussten schon zu Friedenszeiten genügend Vorräte von Schießpulver und Material zur Erzeugung verschiedener pyrotechnischer Waffen, wie z.B. den Feuerkugeln, gelagert werden. Bei erhöhter Gefahr einer Belagerung wurde Material zum Instandsetzen von Mauerbreschen bereitgestellt. Man musste Feuerschutzmaßnahmen treffen, die Wachposten bestimmen, eine genügende Anzahl von Tierhäuten vorbereiten. Mit nassen Tierhäuten wurden Brandgeschosse erstickt. Auch die erforderlichen Geniegeräte mussten vorhanden sein – Schaufeln, Spitzhacken, Äxte, Spaten, Karren, Wassereimer und anders mehr. Unerlässlich waren Vorräte von Bauholz, Palisaden, Brettern und Bohlen zum Errichten von Feuerstellungen der Batterien und zum Versteifen der Minenstollen.

    Ein umsichtiger Kommandant hatte schon vor der Einschließung für folgendes zu sorgen: das Vorfeld bis auf Schussweite freimachen, Bäume abholzen und das Holz als notwendiges Baumaterial in die Festung schaffen zu lassen. Die Wassergräben mussten gefüllt und, wenn möglich, Überschwemmungen aufgestaut werden. In der Stadt hatte man wegen der Feuergefahr durch Bomben- und Karkassenwürfe Dächer mit brennbarem Material entweder abzudecken oder mit feuchter Erde zu belegen sowie aus der Bürgerschaft eine Feuerwehr zu organisieren. Der Proviantvorrat sollte wenigstens für die Dauer eines Feldzuges reichen, unnütze Esser die Stadt zu verlassen. Pulver und Munition hatten genügend da zu sein, für Kanonen rechnete man 600 und für Haubitzen 1.000 Schuss.

    Die Bevölkerung war verpflichtet, schon bei drohender Gefahr einer Belagerung Holz- und Holzkohlenvorräte anzulegen. Diese Vorräte mussten mit Brettern bedeckt werden, worüber noch Erdreich und Mist als Schutz vor einem um sich greifenden Brand gebreitet werden musste. Auf ähnliche Weise wurden auch die Vorräte von Heu, Stroh und Weidenruten geschützt, die man zum Flechten der Schanzkörbe benötigte. In jedem Haus wurden aus den Reihen seiner Bewohner – Frauen und Kinder ausgenommen – Feuerwachen aufgestellt. Die zum Löschen von Bränden bestimmten Gruppen waren mit Eimern und Tierhäuten ausgerüstet. An den Straßenecken brannten in der Nacht Pechfackeln, damit sich die Leute in der Eile und Verwirrung nicht gegeneinander umrannten.

    <>Es war streng verboten, ohne Befehl des Kommandanten zu schießen. Das Nichtbefolgen dieses Befehls wurde besonders streng bestraft. Frauen, Kinder und Fremde durften in der Nacht nicht auf die Straßen, um bei Truppenverschiebungen nicht im Wege zu stehen. Alle Gaststätten waren geschlossen. Denn nach der Kundmachung des Alarms – in der Regel wurde Alarm getrommelt – waren die Verteidiger verpflichtet, mit der Waffe in der Hand zum Schutz der Wälle und Schanzen anzutreten. Der einzelne Verteidiger sollte sich dabei in absolut nüchternem Zustand am Bestimmungsort einfinden.

    Sollte es dem Belagerer gelingen, eine Bresche in die Befestigungen zu schießen, mussten die Belagerten hinter der Bresche Gräben ausheben und Schanzkörbe und mit Erde gefüllte Fässer oder auch mit Sand oder Wolle gefüllte Säcke hineinstellen. Das Instandsetzen der Breschen war wegen des dauernden Artilleriefeuers der Belagerer eine sehr gefährliche Arbeit.

    Der Belagerer.Bei der Belagerung einer Festung oder Stadt versuchten die Belagerer so nahe wie möglich an den Festungsgraben heranzukommen, um dort feste Artilleriestellungen aufzubauen. Diese Batterien konnten aus nächster Nähe Breschen in die Festungsmauer schießen, um den Truppen den Sturm auf die belagerte Stadt oder Festung zu ermöglichen. Zu diesem Zweck wurde vor der belagerten Stadt ein ganzes System von Sappen (Laufgräben) für die Beförderung von Truppen und Material in die vorderen Linien gebaut. Diese befanden sich unmittelbar vor den feindlichen Schanzen. Die Laufgräben wurden im Zick-Zack geführt, damit der Feind so wenig Ziele wie möglich treffen konnte. Dort, wo sich die Linie des Laufgrabens brach, wurden Schanzkörbe aufgestellt, oder die Sappe wurde teilweise oder vollständig mit Faschinen (mit Reisig verflochtene Pfähle) bedeckt. Damit die Belagerten nicht das Leben und die Bewegungen im Feldlager beobachten konnten, errichteten die Belagerer entlang der Laufgräben Zäune und Schutzdächer. Zum Schutz der Artilleriestellungen verwendete man mit Erdreich gefüllte Weidenkörbe.

    Graf Lottum, welcher sein Hauptquartier zu Walbeck nahm, legte eine Zirkumvallationslinie (Einschließungsring) um die Stadt an. Hierzu wurden in der ganzen Umgegend zahlreiche Schanzarbeiter aufgeboten. Es mussten nicht nur bedeutende Holzmengen herangeschafft, sondern auch große Erdmassen bewegt werden. Dazu wurden neben anderen besonders Männer aus dem Herzogtum Kleve herangezogen, das schon 1609 zu Brandenburg-Preußen gekommen war. Zu den Erbarbeiten benötigten die Preußen aus dem Klever Land allein 1.200 Erdarbeiter. Die Arbeiten müssen schwer und kräftezehrend gewesen sein; denn es kam nicht selten vor, dass Leute gar nicht zur Arbeit erschienen oder von der Arbeitsstelle aus desertierten. Sie hatten zur Strafe unter Androhung militärischer Exekution 10 Stüber pro Tag zu bezahlen.

    Die Zirkumvallationslinie zog sich in einer Entfernung von ungefähr 3.000 Schritt von den äußersten Festungswerken vom Hause Grotelaers über das Gastendonker Feld nach der Baersdonk und dem Dorf Veert hin und von hier am Schloss Haag und dem Pannofen von Aengenendt vorbei wieder bis zum Haus Grotelaers hin. Hinter dieser durch 3 Redouten gedeckten Linie errichtete derselbe zur Aufnahme von Truppen und zur Sicherung nach außen 4 große Redouten oder Schanzen. Die Schanze „Hartefeld“ lag auf dem Gastendonkerfeld am Weg von Geldern nach Nieukerk, die Schanze „Pont“ auf der Straße nach Straelen, die Schanze „Veert“ auf dem Weg nach Kevelaer und die Schanze „Pannofen“ in der Nähe des Pannofens und der Straße nach Issum. Schloss Haag reihte sich in die nördliche Linie ein und stellte wegen seiner Stärke und gesicherten Lage gleichsam eine Befestigung für sich dar.

    Die Schanze Veert („Fort du Veert“) z.B. lag etwa 200 m hinter dem Dreijßenhof (heute Schanzhof, 750 m südwestlich der Veerter Kirche an der Biegung der Bundesstraße Geldern-Kevelaer, im Volksmund auch „Warschauer Platz“ genannt) und bestand aus zwei Teilen, dem größeren für die Aufnahme der Infanterie, dem kleineren für die Kavallerie. Heute noch spricht man von „de grote on de kleine Schanz“. An der Straelener und Kapellener Straße, 1.100 Schritt von den äußeren Festungswerken entfernt, stellte man, beginnend an der Fossa bei Beurskenshof, weiter an der Barriere in nördlicher Richtung vorbeilaufend, eine Batterie von 17 Mörsern auf, woraus „Bomben und Carcassen geworffen“ und 18 Kanonen, woraus glühende Kugeln geschossen wurden. Dies bezeichnete man als „Attaque de Vertt“. Vor dieser Batterie befanden sich – zur Stadt hin – 6 Scharten, durch welche 4 Kanonen die Wassermühle und die Batterien auf den Bollwerken der Stadt beschossen. Man legte natürlich auch Gräben an, um das Wasser wieder abzusetzen, das durch Öffnen der Schleusenwerke der Festung von der Besatzung zur Überflutung der Umgegend abgelassen wurde. Auch an der Nieukerker und der Issumer Landstraße fanden Batterien Aufstellung.

    Neben den 4 größeren wurden noch 5 kleinere Schanzen angelegt: die erste gegen die Boeckelt, die zweite beim Haus Grotelaers, die dritte beim Hof Kleinderhorst, die vierte auf dem Weg nach Walbeck und die fünfte bei der Willik´schen Mühle. In diesen Schanzen errichteten die Preußen Häuser; außerdem legten sie rund um die Stadt Laufgräben an und hielten diese so beinahe sechs Monate eingeschlossen.

    Das Leben der Soldaten in den Lagern, ob es nun um Belagerer oder Belagerte ging, unterlag einer strengen Disziplin. Vor allem war jede Art von Aufruhr, jedes Zusammenrotten der Soldaten streng untersagt. Unter Androhung schwerster Strafen, in der Regel der Todesstrafe, war es verboten, das Lager zu verlassen, oder bei Raufereien den Kameraden zu erstechen. Den Soldaten war streng untersagt, ohne Wissen des Feldherren mit dem Feind zu sprechen. Wenn sich Reiterei und Fußvolk im Feldlager befanden, musste das Fußvolk den für die Einstallung der Pferde nötigen Platz räumen. Ohne Erlaubnis durfte niemand schießen oder Feuer machen. Trunkenheit und alle unter dem Einfluss von Alkohol begangenen Taten wurden streng bestraft. Bestand der Verdacht, dass sich im Lager ein Spion befindet, wurde Alarm gegeben.

    Doch der spanische Festungskommandant de Betis hatte die an und für sich schon starken Festungswerke noch bedeutend verstärkt und war für eine längere Belagerung hinreichend mit Kriegs- und Lebensmitteln versehen. Durch sparsamen Verbrauch der vorhandenen Vorräte hielt er Geldern den ganzen Sommer über. So mussten die Preußen ihren anfänglichen Plan aufgeben, und Lottum schritt im Oktober zum Bombardement der Stadt. Zu diesem Zweck ließ er mithilfe von Laufgräben 3 Batterien errichten, eine von 10 Mörsern und 14 Kanonen vor dem Geldertor, gleich hinter der Fleuth, 1.500 Schritte von den äußersten Festungswerken entfernt, eine von 17 Mörsern und 10 Kanonen in der Gegend der Barriere vor dem Haupttor (1.100 Schritte entfernt), und von 22 Kanonen eine auf der Straße nach dem Pannofen (2.000 Schritte entfernt). Die preußische Artillerie rückte dabei so nahe an die Festung heran, wie es das Sumpfgebiet ringsum erlaubte.

    Am 3. Oktober begann das mörderische Feuer und dauerte drei Tage. Die spanischen Batterien erwiderten das Feuer, aber ohne Erfolg. Die Kugeln flogen über die Werke hinweg und trafen. Sie trafen die Menschen, die sich aus den Kellern wagten, und sie trafen die Menschen, die sich in die Bollwerke geflüchtet hatten, welche zur zusätzlichen Verteidigung errichtet waren. Lottum forderte nun die Übergabe der Festung, ansonsten würde er sie durch Feuer und Schwert verwüsten. Der Festungskommandant aber antwortete, dass er sich bis zum letzten Blutstropfen verteidigen werde. Bei Anbruch des 7. Oktober begann das Bombardement von neuem mit solcher Heftigkeit, dass das Feuer wie Regen vom Himmel fiel. Der Kanonendonner war so stark, dass er in Wesel deutlich vernehmbar war. Das Hülser Kloster brannte an diesem Tag nieder und mehrere Gebäude stürzten zusammen. Die in Angst versetzte Einwohnerschaft hatte sich indessen in die Keller geflüchtet. Der Gouverneur de Betis selbst hielt sich in einem unterirdischen bombensicheren Bunker auf, dessen Zugang er, um bei einem eventuellen Aufruhr der Bürger geschützt zu sein, mit einer Wache von 50 Mann nebst mehreren Geschützen sichern ließ. Selbst die einbrechende Dunkelheit brachte das Feuer der Geschütze noch nicht zum Schweigen, und viele Gelderner Bürger, welche die Nacht in den Verteidigungsbollwerken der Stadt zubringen wollten, fanden hier den Tod. Früh morgens begann das furchtbare Bombardement erneut. Die Stadt erbebte in ihren Grundfesten von dem Donner der Geschütze; nicht aber der Kommandant de Betis, der die wiederholte Übergabeforderung am 9. Oktober mit großer Entschiedenheit zurückwies und sich auch nicht von den flehentlichen Bitten der Bürgerschaft, die den völligen Ruin ihrer Stadt befürchtete, erweichen ließ. Die Pfarrkirche Maria Magdalena fing an diesem Tage zum dritten Mal Feuer und brannte mitsamt dem Turm bis auf den Grund nieder; die Glocken schmolzen, die Altäre, die große Orgel und die Kirchengeräte wurden ein Raub der Flammen. Das Kloster und die Kirche der Kapuziner brannten in der folgenden Nacht nieder. Und so ging es fort bis zum Abend des 15. Oktobers. Eine Bombe durchschlug die Kellerdecke des Karmeliterklosters. Dorthin waren ungefähr 60 Frauen geflüchtet, keine einzige kam zu schaden. Acht Tage schossen die Preußen mit 29 Mörsern und 40 Kanonen, ohne die Übergabe erzwingen zu können. Dann zogen sie sich wieder in ihre Belagerungsstellungen zurück und warteten weiter. Am 16. Oktober ging bei den Belagerern die Munition aus; der Kanonendauer hörte auf und die Preußen kehrten in ihre frühere Stellungen und Schanzen hinter die Zirkumvallationslinie zurück, um die Stadt auszuhungern. Die gesamte Bevölkerung kehrte an diesem Tag in ihre Wohnhäuser zurück, musste sich aber bei der allgemeinen Zerstörung in ihren Kellern gegen Wind und Regen schützen. Nur wenige, beinahe keine Häuser waren unverschont geblieben. Die Gelderstraße hatte vor allen am meisten gelitten; fast alle Häuser derselben lagen ausgebrannt oder zerstört. Im Kapuzinerkloster war alles zertrümmert. So hauste die Bevölkerung noch 2 Monate nach der Bombardierung in Ruinen; jeder Vorrat fehlte, ausgenommen Brot.

    Am 7. Oktober 1703 brach über Geldern die Hölle los.

    Die Preußen beschränkten sich wieder auf die Blockade, da Graf Lottum nun die Überzeugung gewonnen hatte, dass es ausgeschlossen sei, durch eine weitere Beschießung die Kapitulation herbeizuführen. An eine Erstürmung der Festung war nicht zu denken, da keine gangbare Bresche vorhanden war und das sumpfige Gelände eine Annäherung fast unmöglich machte. Aber noch volle sechs Wochen hielt die jämmerlich zugerichtete Stadt die Belagerung aus, obwohl bereits die Lebensmittel zur Neige gingen. Als endlich alle Hoffnung auf Entsatz geschwunden war und die Not der Gelderner den Höhepunkt erreicht hatte, da erhielt am 20. November der Kommandant von Ludwig XIV. die Erlaubnis, die Festung zu übergeben. Am 23. November teilte er dies durch einen Parlamentär dem General von Lottum mit. Dieser wandte sich nach Berlin und bat um Anweisungen. Vier Tage darauf erteilte der König die Genehmigung zum Abschluss der Kapitulation, indem er mit besonders anerkennenden Worten des „heldenmütigen“ Gouverneurs von Geldern gedachte. Es wurde noch der besondere Befehl hinzugefügt, möglichst günstige Übergabebedingungen zu stellen und dafür Sorge zu tragen, dass die gesamte Artillerie in Geldern verbleibe.

    Die Kapitulationsverhandlungen fanden in Wesel statt und wurden am 12. Dezember von de Betis und von Lottum unterzeichnet. Den Bürgern wurden ihre Privilegien und Rechte garantiert und die freie Ausübung der katholischen Religion zugestanden. Den religiösen Genossenschaften sollten ihre Besitzungen und Rechte unangetastet bleiben. Auch wurde ihnen der Wiederaufbau der niedergebrannten Kirchen und Klöster gestattet. Die Garnison erhielt freien Abzug mit allen kriegerischen Ehren; eine militärische Eskorte und zwei zwölfpfündige Kanonen sollten sie begleiten. Nach diesen Abmachungen wurde dann am 17. Dezember den Preußen das Geldertor geöffnet, und am 20. Dezember zog die spanische Garnison mit allen militärischen Ehren, mit schlagenden Tambours, fliegenden Fahnen, brennenden Lunten und Kugeln im Lauf, nach Brabant ab. An diesem Tag ging nach 160 Jahren die spanische Herrschaft über die Stadt Geldern zu Ende.

    Nach einer amtlichen Angabe hat die preußische Artillerie bei der Belagerung von Geldern an Munition verbraucht: 1.078 Zentner Pulver, 13 Zentner 50 Pfund bleierne Kugeln, 1.907 Zentner Bomben, 1.409 Zentner Granaten, 8 Zentner 56 pfündige Brand-Granaten und 12.180 Zentner Kanonenkugeln. Die Zahl der geworfenen Bomben wird auf 6.000, der Brandtöpfe auf 600 und der Kanonenkugeln auf 12.000 angegeben. Die Anzahl der Toten und Verwundeten ist nicht überliefert. Außer den genannten Kirchen waren noch die Heilig-Geist-Kapelle, das Rathaus und die meisten Häuser zerstört worden; nur die Klöster der Karmeliter, der Karmelitessen und Augustiner (Nazareth) waren, wenngleich bedeutend beschädigt, doch erhalten geblieben. Furchtbar war der Zustand der beklagenswerten Stadt, deren Bewohner nun in Ruinen hausen mussten. Aber auch die Gemeinden der Umgegend waren während der Belagerung stark in Anspruch genommen worden. So mussten die Grefrather 1.591 Palisaden und 4.115 Faschinen liefern. Viersen bezahlte bis zum 19. Juni an Fourage und für die bei der Blockade verwandten Palisaden 7.673 Gulden und bis zum 13. Dezember 7.099 Gulden. Nach der Einnahme der Festung Geldern mussten der Einschließungswall und die Schanzen geschleift, also eingeebnet werden. Dazu waren wieder Erdarbeiter zu stellen.

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    Die Inbesitznahme Gelderns

    Zum ersten Mal musste eine Besatzungsmacht in Geldern der Gewalt ihrer Nachfolgerin weichen. Zum ersten Mal war die Festung durch Waffen erobert worden. Kein Sumpf und kein noch so breiter Verteidigungsgraben hatte sie schützen können. Die Kanonen hatten über das Sumpfgelände und über das Glacis, über den Contrescarpegraben, den Schüttwall und über die Stadtmauer hinweg mitten in die Stadt hineingeschossen. Das Festungsgelände, das noch wenige Jahre zuvor verbreitert worden war, erwies sich dennoch als zu schmal und hatte die Kugeln der Preußen nicht auffangen können.

    Das war der Anfang vom Ende des Gelderner Festungsbaues und der Beginn der Erkenntnis, dass Festungen nicht länger uneinnehmbar waren. In dem ständigen Wettlauf zwischen Angriffswaffen und Verteidigungswerken hatten die Angriffswaffen gesiegt. Sie waren schneller, leichter und einfacher zu modernisieren und zu erneuern. Ehe die Festung sich mit vielen und kostspieligen Umbauten einem neuen Waffentyp angepasst hatte, waren die Waffen schon wieder verstärkt worden, und die Festung war über Nacht veraltet. Zunehmend war die Reichweite der Artillerie nicht mehr in Metern, sondern in Kilometern zu messen. Das 17. Jahrhundert war noch das Zeitalter der großen Belagerungskriege gewesen. In der napoleonischen Ära dann verschob sich der Schwerpunkt vom Festungskrieg zur offenen Feldschlacht und der damit verbundenen Perfektionierung der Feldartillerie.

    Geldern war diesem Vorsprung der Angriffswaffen zum Opfer gefallen und ging jetzt in preußische Hände über. Das soll aber nicht bedeuten, dass die Festung Geldern zu schwach gewesen wäre. Nachdem die englisch-niederländischen Seestreitkräfte unter dem Herzog von Marlborough den Franzosen die Positionen an Maas und Niederrhein entrissen hatte, war ein Entsatz der Festung Geldern nicht mehr möglich. Aber ihr gelang es, 11 Monate lang starke Truppenverbände zu binden, die währenddessen anderswo nicht eingesetzt werden konnten. So konnte die Vereinigung der Franzosen mit ihrem bayerischen Verbündeten am Oberrhein nicht verhindert werden.

    Um weiteren Erfolgen der Franzosen in Deutschland Einhalt zu tun und den Kaiser von einer Invasionsgefahr zu befreien, eilte Marlbourugh, auf Bitten des Prinzen Eugen, 1704 mit dem besten Teil seiner Truppen zum süddeutschen Kriegsschauplatz. In den Niederlanden ließ er 40.000 Mann unter Overkerk zurück. Da Villeroi mit einem Teile seiner Streitkräfte Marlborough folgen musste, trat in den Niederlanden bis zur Rückkehr des englischen Oberfeldherren ein Stillstand in den Operationen ein.

    Seit der Einnahme der Stadt Geldern befand sich Preußen im tatsächlichen Besitz der Festung, der Vogtei und des Neeramtes Geldern, der Städte und Ämter Wachtendonk und Straelen sowie des Dorfes Hinsbeck. Aber der preußische König übte hier nur die Gebietshoheit, nicht aber die territoriale Souveränität aus, d.h. er war Besitzer, aber nicht Eigentümer. Und Macht ist bekanntlich vergänglich. Zudem behaupteten die Generalstaaten den größten Teil des Oberquartiers (u.a. das Amt Krickenbeck). Ein kleineres Gebiet (u.a. Erkelenz) war in der Gewalt des Kaisers, der schon im Jahr 1702 gefordert hatte, dass alle von seinen Truppen eroberten Plätze in kaiserliche Pflicht genommen werden sollten. Fortan wurde das Gelderner Oberquartier von den verschiedenen Kriegsparteien als Köder benutzt, um bald diese, bald jene der Anspruch erhebenden Mächte zu locken. Der Krieg aber sollte noch lange dauern. Erst am 24. Februar 1713 wurde zwischen den preußischen, französischen und englischen Ministern eine Einigung dahin erzielt, dass Preußen den größten Teil des Oberquartiers mit der Festung Venlo und dem Land Kessel (linkes Maasufer) erhalten sollte. Inzwischen wurde Friedrich Wilhelm I. König in Preußen, der energisch und mit Erfolg seine Belange vertrat. Durch den Utrechter Frieden erlangte Preußen am 11. April 1713 außer dem größten Teil des Oberquartiers des Herzogtums Geldern noch die allgemeine Anerkennung seiner Königswürde und die Bestätigung des Besitzes von Moers, Lingen und Neuenburg (Neuchatel). In dem Geldern betreffenden Artikel steht: Seine Kaiserliche Majestät habe beschlossen, „zur Befestigung und Aufrechterhaltung des guten Vernehmens und in Betracht der großen Verdienste, die Seine preußische Majestät sich um das Haus Österreich erworben“, die von dem König für jetzt besetzten Teile des Oberquartiers Geldern „in bester Form rechtens“ abzutreten. Die Interessen Gelderns in Utrecht wurden übrigens durch Wilhelm Adrian Marquis von Hoensbroech zu Schloss Haag wahrgenommen.

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    Preußen im Spanischen Erbfolgekrieg

    Der Spanische Erbfolgekrieg war der erste Weltkrieg in der Geschichte der Völker mit blutigen Schauplätzen in den Niederlanden, in Italien, in Spanien, in Süddeutschland und auf den Weltmeeren. Das waren 13 Jahre, in denen der preußische König Friedrich I. in Feldzüge verwickelt blieb, bei denen es nicht um Preußen ging, sondern um die Interessen der habsburgischen Dynastie und der Seemächte England und Niederlande. Über 30.000 preußische Soldaten kämpften schließlich auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen. Bei Turin, bei Oudenaarde, bei Malplaquet erwarben sie Ruhm, bei Höchstädt, wo sie gegen die Franzosen und die mit ihnen verbündeten Bayern kämpften, entschieden sie die Schlacht. Doch um ihren Ruhm wurden die Preußen betrogen. Da man sie bewusst nicht als geschlossenen Heeresverband einsetzte, sondern in einzelne Korps aufteilte, konnten ihre Erfolge politisch nicht genutzt werden. Preußen wurde nach wie vor behandelt, als sei es eine Macht zweiten Ranges. Seine Dienste galten zwar als unentbehrlich, sie honorieren aber wollte man nicht. Der Kaiser hielt nicht einmal die im Krontraktat festgelegten Bedingungen ein, zögerte die Zahlung der Subsidien hinaus und scheute sich nicht, die vereinbarte Summe herunterzuhandeln. Der andere große Verbündete, die Generalstaaten, versuchte, Friedrich um einen Teil des ihm zustehenden Erbes zu bringen.

    Als Sohn einer Oranierin hatte der preußische König nach dem Tode des kinderlosen Wilhelm III. von Oranien 1702 auf dessen Besitz, darunter auf die Grafschaft Moers, Anspruch erhoben und sich sofort zum Herrn des Landes erklärt, als den ihn auch das Reichskammergericht und der Kaiser unter gleichzeitiger Erhebung der Grafschaft zu einem Fürstentum anerkannten. Die oranische Erbschaft aus der ersten Ehe des Großen Kurfürsten bestand zwar aus weit verstreuten, doch fruchtbaren Landstrichen und reichen Städten, die zur Abrundung des linksrheinischen Besitzes sich anboten. Freilich ist Friedrich zunächst nur die Besitzergreifung in der Exklave Krefeld gelungen, während die von einer niederländischen Besatzung geschützten Stände in Moers Widerstand leisteten. In raschem, unblutigem Handstreich unter der Führung des Generals Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, wobei preußische Grenadiere im Morgengrauen den Burggraben durchschwammen, wurde die Besatzung schließlich überrumpelt und die Offiziere in ihre Quartiere eingeschlossen.

    Friedrichs Ziel, durch die Königskrone ein Gleicher unter Gleicher zu werden und nicht bloß der Führer einer Auxiliarmacht, der man erlaubte mitzuhelfen, aber nicht mitzuentscheiden, war nur unzulänglich erreicht worden. Was man Preußen schließlich gnädigst gewährte – Lingen, Moers, Neuenburg (Neuchatel), Geldern–, stand in keinem Verhältnis zu dem Opfer an Gut und vor allem an Blut, das man gebracht. Um Geldern, das man erobert hatte, auch behalten zu dürfen, musste sogar der englische Gesandte als Vermittler eingeschaltet werden, was er sich mit einer „Dienstaufwandsentschädigung“ von 50.000 Gulden honorieren ließ.

    Durch die Berührung zweier Kriegsbrände in der Mitte Europas (Spanischer Erbfolge- und Nordischer Krieg) geriet Preußen in die trostlose Lage totalen wirtschaftlichen Ruins und einer ungeschützten Depression. Die fremden Truppen der Ostmächte Sachsen, Polen und Russland benutzten das Land respektlos als Korridor für ihre Marschmanöver. Dass der desolate Staatszustand – völlige Zerrüttung der Finanzen und korrupte Administration – aller Welt vor Augen trat, empfand der junge Thronfolger Friedrich Wilhelm (der spätere „Soldatenkönig“) als tiefste Schmach. In diesen letzten Kriegsjahren rundete sich in seiner Vorstellung das Modell eines Schöpfungswerkes ab, dass primär auf außenpolitischer Erfahrung beruhte: das Programm der Wehrhaftmachung Preußens aus eigener Kraft. Oder überspitzt ausgedrückt: Erst als Geldern preußisch wurde, konnte aus Preußen eine Großmacht werden! Diese Aussage ist aber chronologisch, nicht kausalbedingt gemeint.

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    Das Kriegsende

    Am Ende behielt zwar Philipp V. als der erste spanische Bourbone die Krone Spaniens; Ludwig XIV. aber erreichte sein eigentliches Kriegsziel nicht und musste auf eine künftige Vereinigung Spaniens mit Frankreich definitiv verzichten. Österreich hatte standgehalten, Spanien war nach wie vor bankrott und schied aus dem Kreis der Großmächte endgültig aus. Aber auch Habsburg hatten sein Ziel nicht erreicht; das Ergebnis des Krieges entsprach vielmehr den Interessen der Seemächte, vorab Englands, dessen politischer Druck auf die europäischen Mächte im Sinne der Erhaltung eines Gleichgewichts unter ihnen nunmehr ausschlaggebend wurde: Der Bourbone Philipp V. erhielt (das bankrotte) Spanien und die Kolonien, Österreich die spanischen Niederlande (etwa Belgien und Luxemburg), Neapel, Sardinien und Mailand (Sardinien wurde einige Jahre später gegen Sizilien getauscht). Die bisher geächteten Wittelsbacher bekamen ihre Länder zurück; der Plan des Prinzen Eugen, die Spanischen Niederlande gegen Bayern einzutauschen, fand nicht die Zustimmung der Seemächte, doch verschwand dieses Projekt nicht mehr aus der habsburgischen Politik des 18. Jahrhunderts. Der alte Gegensatz zwischen Habsburg und Frankreich blieb bestehen, das Reich spielte bei alldem nur eine Nebenrolle. Frankreichs Staatsschuld war auf das Siebenfache gestiegen; allein die Zinszahlungen entsprachen den normalen Einnahmen.

    Die niederländische Unabhängigkeit blieb erhalten, aber die Vereinigten Niederlande stellten nicht mehr eine so gewaltige See- und Handelsmacht dar und sahen sich jetzt gezwungen, einen größeren Teil ihrer Energien darauf zu richten, ihre südlichen Grenzbefestigungen zu verstärken. Die Unzulänglichkeit der niederländischen Ressourcen in den verschiedenen Kriegen gegen Frankreich zwischen 1688 und 1748 hatte zur Folge, dass die Niederländer ungefähr drei Viertel ihrer Verteidigungsausgaben auf die Armee konzentrieren mussten und ihre Flotte vernachlässigten – während die Briten einen zunehmenden Anteil an den Seegefechten und den Feldzügen in den Kolonien übernahmen, was für sie von wirtschaftlichem Nutzen war. Holland besaß zwar im Jahre 1700 noch 74 Linienschiffe mit je 60 bis 100 Geschützen, war aber wegen Geldmangels nicht in der Lage, mehr als 30 bis 35 jährlich in Dienst zu stellen. Auf Dauer gab es für die Niederländer keine Möglichkeit, ihre ausgedehnten und verwundbaren Interessen auf entfernten Meeren zu verteidigen.

    Auf dem europäischen Kontinent war das Mächtegleichgewicht gesichert, während Großbritannien zur See unangefochten blieb.

     
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    Geldern wird auch de jure preußisch

    Die Teilung des Oberquartiers (1713). Nach Beendigung des Spanischen Erbfolgekrieges wurde beim Frieden von Utrecht (11.04.1713) das Oberquartier aufgeteilt:

  • Die Vereinigten Niederlande erhalten das vorher zum Amt Krickenbeck gehörende Venlo, Beesel, das Amt Montfort, die Festung Stevensweert und Nieuwstadt. Diese Gebiete scheiden damit aus dem Reichsverband aus und erhalten zunächst den Status von Generalitätslanden (Barrieretraktat von 1715).
  • Österreich als Haupterbe der Spanischen Niederlande erhält nur einen geringen Teil vom geldrischen Oberquartier: den Hauptort Roermond sowie das Gebiet von Elmpt, Niederkrüchten und Wegberg.
  • Der Hauptteil des Oberquartiers (1.200 qkm mit 40.000 Einwohnern) fällt als Ersatz für das Fürstentum Oranien an Preußen. Es sind die östlich der Maas gelegenen Ämter Geldern, Straelen, Wachtendonk und Krickenbeck (mit der Exklave Viersen) sowie das ausgedehnte Amt Kessel westlich der Maas wie auch die nördliche Exklave Middelaar. Die Stadt Geldern wird Verwaltungssitz des neu geschaffenen „Herzogtums Geldern preußischen Anteils“. Die preußischen Könige nennen sich fortan auch „Herzöge von Geldern“. Mit dem Herzogtum Geldern besitzt Preußen erstmals ein fast ausschließlich katholisches Gebiet. Um den konfessionellen Sonderstatus zu bewahren, muss der preußische König im Utrechter Frieden die Sonderrechte anerkennen, die bereits Karl V. 1543 den geldrischen Ständen zugestanden hatte. Trotzdem ist die Integration schwierig. Sprachlich gehört dieses neu erworbene preußische Gebiet noch bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts überwiegend dem niederländischen Sprachraum an.
  • Die kleine geldrische Exklave Erkelenz fällt an das Herzogtum Jülich (1711/19), das dem Haus Pfalz-Neuburg gehört.
  • Da Preußen schon Kleve, Mark und Moers innehat, besitzt es nun eine gewisse Vorherrschaft am Niederrhein.

    Um 1715 ist das Oberquartier so in ein staatisches Oberquartier, ein preußisches Oberquartier, ein österreichisches und ein jülichsches Oberquartier auseinander gefallen. Das staatische Oberquartier bildet ein Generalitätsland der Republik der Vereinigten Niederlande, die preußischen und österreichischen Teile bleiben formell selbständige Einheiten mit eigenen Regierungen und Ständevertretungen.

    Preußisch-Geldern. Den alten klevischen Anspruch auf Geldern verwirklichte König Friedrich I. im Spanischen Erbfolgekrieg nur teilweise. Er überließ beim Utrechter Frieden vom 11. April 1713 sein Recht auf das souveräne Fürstentum Oranien dem König von Frankreich mit dem Vorbehalt, den Namen Oranien seinem Anteil an Geldern beizulegen. Bezüglich der Privilegien und Freiheiten des Landes Geldern, seiner Städte und Untertanen, gelobte König Friedrich Wilhelm I., dieselben in den gewöhnlichen Formen, gemäß des Venloer Traktates von 1543, zu bestätigen, ungekränkt aufrechtzuerhalten und niemandem zu gestatten, gegen dieselben zu handeln. Zufolge des angeführten Vertrages sollte der König alle Ämter, sowohl in der Regierung des Landes, als der Städte und in der Justiz mit Personen aus dem Lande besetzen, die sich durch eidliches Gelübde als Katholiken ausgewiesen haben würden. Zur Handhabung der Justiz sollte der König ein eigenes Tribunal errichten, damit die Städte und Untertanen nicht vor ausländische Gerichtshöfe geladen werden könnten; falls sich in diesem Zusammenhang eine Komplikation einstellen würde, sollte der König sich mit den Landständen darüber verständigen. Von beiden Seiten (Landesherr und Landständen) sollten sofort Kommissare zusammentreten, um die Interessen des Landes, die Art und Weise seiner zukünftigen Trennung ohne Nachteil der einen oder anderen Seite und die Zahlung der Landesschulden endgültig zu ordnen. Schließlich verpflichteten sich beide Teile, keine neue Festung an der Maas im Bereich des Oberquartiers zu bauen.

    Am 19. Mai 1713 ließ Friedrich Wilhelm I. durch den Kommandanten von Wesel, Generalleutnant Johann Sigismund von Heiden, und den Vizekanzler von Kleve, Reinhard von Hymmen, von den ihm abgetretenen geldernschen Landesteilen Besitz ergreifen und den Einheimischen durch eine gedruckte Verlautbarung bekannt machen, dass sie fortan nur ihn als Landesherren anzusehen hätten. Die erste feierliche Erbhuldigung in Geldern ließ Friedrich Wilhelm I. am 13. September 1713 vornehmen. Dabei leisten der Erbmarschall im Namen der Ritterschaft und der Bürgermeister von Geldern namens der Städte den Treueeid, während die übrigen Abgeordneten der Stände die Hände zum Schwur in die Höhe streckten. Sie schworen dem König, als souveränen Erbherrn der bewussten Teile des Herzogtums Geldern, sowie seinen Erben und Nachkommen gehorsam, treu und hold zu sein, seinen Nutzen zu fördern, Schaden und Nachteil von ihm abzuwenden und alles zu tun, was gute, treue und gehorsame Stände und Untertanen ihrem natürlichen und rechtmäßigen Erbherrn und Souverän zu tun verpflichtet seien.

    Am ersten Weihnachtsfeiertag wurde auf Befehl des Königs in allen Kirchen des preußischen Staates ein Dankfest mit anschließendem Tedeum abgehalten. Auch ließ der König nach damaligem Brauch eine Erinnerungsmedaille prägen. Sie zeigt auf der Vorderseite das Brustbild des Königs mit lorbeergeschmücktem Haupt, während die Kehrseite auf die Belagerung von Geldern Bezug nimmt. Vor dem im römischen Imperatorenornat thronenden König kniet eine die Stadt Geldern darstellende Figur und überreicht ihm die Schlüssel der Stadt, während ein hinter ihm stehender Genius ihm einen Lorbeerkranz auf das Haupt setzt; im Hintergrund ist das Bombardement der Stadt dargestellt mit der Umschrift: Vincit invictam (er besiegt die Unbesiegte). Unten: Geldria primum expugnata M D CCIII (Geldern erstmals erobert 1703). Auch ein großes Gemälde von der Belagerung wurde angefertigt, und zwar nach einer Zeichnung des Oberingenieurs Jan de Bodt (1670-1745), von dem bedeutenden Schlachtenmaler Jan van Hugtenburgh (1647-1733), das sich heute im Schloss Charlottenburg in Berlin befindet. Das Bild stellt die Beschießung mit dem brennenden Geldern im Hintergrund dar, gesehen aus Südwesten. Im Vordergrund sind weitläufige Szenerien des Lebens in einer Artilleriestellung zu sehen (der Lage nach wahrscheinlich Pont, wahrscheinlich jedoch Hartefeld).

    Der Titel des preußischen Königs lautete 1718: „Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden König in Preußen, Markgraf zu Brandenburg, des Heil. Röm. Reichs Ertz-Caemmerer und Churfuerst, Souverainer Printz von Oranien, Neuchatel und Vallengin, in Geldern, zu Magdeburg, Cleve, Juelich, Berge, Stettin, Pommern, der Cassuben und Wenden, zu Mecklenburg, auch in Schlesien zu Crossen Hertzog, Burggraf zu Nuernberg, Fuerst zu Halberstadt, Minden, Camin, Wenden, Schwerin, Ratzeburg und Moers, Graf zu Hohenzollern, Ruppin, der Marck, Ravensberg, Hohenstein, Tecklenburg, Lingen, Schwerin, Buehren und Lehrdam, Marquis zu der Vehre und Vlissingen, Herr zu Ravenstein, der Lande Rostock, Stargardt, Lauenburg, Butow, Arlay und Breda.“ „Geldern“ rangiert hier direkt hinter dem König- und Kurfürstentitel sowie den oranischen Titeln, aber vor Magdeburg, Kleve, Jülich und Berg. Den Titel „Graf von Zutphen“ führte der „Soldatenkönig“ natürlich nicht, denn von diesem Quartier konnte er nichts sein Eigen nennen.

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    Die Stadt Geldern nach 1703

    Viele Gelderner Bürger zogen aus ihrer berühmten, zerfallenden Stadt weg aufs Land und hofften, dort wenigstens ihr tägliches Brot zu finden. Noch Jahre nach der Bombardierung durch die Preußen standen viele halbzerstörte Häuser in Geldern leer; und wenn die ehemaligen Besitzer sich auf einen Aufruf der Stadt nicht meldeten, wurden die Grundstücke enteignet und an Bauinteressenten verkauft. Im Jahre 1709 klagte die Stadt, dass sie die einzige Festung sei, die die Lasten des Krieges allein habe tragen müssen. Die Schuldenlast wurde 1710 mit über 90.000 Gulden angegeben. 13 Jahre später behaupteten die Stadtväter angesichts des Elends der Bürger in einer Eingabe an den preußischen König, die Stadt könne sich durch die Belagerung und die Bombardierung in 100 Jahren nicht mehr erholen. Darüber hinaus, so schrieben sie weiter, sei die Garnison viel mehr eine Last als ein Vorteil der Bürger und Einwohner, da das Militär den Bürgern die Nahrung wegnehme. Viele Bürger besäßen zum Schlafen nur ein Bett, dagegen müssten sie vier Betten und das Licht an die einquartierten Soldaten liefern. 1725 ging ein neuer Klagebrief an den König. Die Stadt habe sich bis heute von der Blockade und dem Bombardement noch nicht erholen können. Es bestehe auch nicht der geringste Handel oder eine Manufaktur in der Stadt. Die Einwohner seien durch die dauernde Einquartierung belastet. Ihre Existenz müssten sie in ihren kleinen Ackererträgen suchen. Auch in Zeiten guter Ernte könne man keinen Überschuss herauswirtschaften, so dass man von Zeit zu Zeit genötigt gewesen sei, Schulden und Renten zu Lasten der Stadt zu machen.

    Die öffentlichen Gebäude, die wie die meisten Privathäuser durch die Beschießung zerstört waren, wurden wieder aufgebaut, so 1724-1728 das ganz beschädigte Rathaus, 1707-1715 die katholische Pfarrkirche durch die Karmeliter, 1711 und 1712 die Kapuzinerkirche, 1705 und 1706 auf Kosten des Königs die Heilig Geist-Kapelle, die nach der Eroberung der Stadt an die Reformierten überging. Der Wiederaufbau der Privathäuser ging nur sehr langsam von sich, obwohl der König für Neubauten eine dreijährige Steuerfreiheit bewilligte. Die Festungswerke wurden wieder hergestellt und vor dem Issumertor, der schwächsten Stelle der Festung, zwei Redouten angelegt. Die Bastionen bekamen Namen, außerdem Pulvermagazine. Für die Garnison wurden Kasernen gebaut und alles nach preußischem Stil umgewandelt. Als bei der Explosion des Pulverturmes 1735 ein großer Teil der Stadt aufs neue zerstört wurde, bot der preußische König den Geschädigten sofort große Unterstützung an, um die Häuser wiederherzustellen.

    Einheit in Vielheit. Die Aufteilung des Oberquartiers von Geldern hatte zur Folge, dass die drei Teile fortan als kleine Gebiete jeweils zu einem anderen Staatsverband gehörten. Es bedeutete aber nicht, dass jegliche Gemeinschaft damit beendet war. Gemeinsam blieb die Anwendung des geldrischen Land- und Stadtrechtes von 1620, die Verwendung des Niederländischen als offizielle Sprache der Behörden und die Zugehörigkeit zum 1559 gegründeten Bistum Roermond. Weiterhin bildeten die verschiedenen Teile des ehemaligen Spanisch-Geldern immer noch eine wirtschaftliche Einheit, so dass man z.B. Handelsware aus der Republik in die südlichen Niederlande importieren konnte: über das staatische und österreichische Oberquartier. Innerhalb der preußischen Monarchie war das preußische Oberquartier mit seiner fast einheitlich katholischen Bevölkerung, dem offiziellen Status der niederländischen Sprache und dem Weiterbestehen eines Ständekollegiums eine große Ausnahme.

    Ab 1713 kamen im preußischen Oberquartier die Ritterschaft und Städte (erneut) als Ständekollegium zusammen, im österreichischen Teil ab 1717. Im staatischen Teil, Generalitätsland der Republik (Venlo), wurde jedoch kein Ständekollegium mehr gegründet. Auffällig ist die Personalunion zwischen beiden Ständekollegien. Der aus der Familie von Hoensbroech stammende Erbmarschall war Vorsitzender der Stände, sowohl im preußisch-geldrischen wie im österreichisch-geldrischen Ständekollegium. Die geldrischen Stände gingen aus dem jahrelangen Kampf, den sie mit König Friedrich Wilhelm I. um ihre Rechte führten, zwar geschwächt, doch nicht völlig besiegt hervor. Die Gouverneure der Festung Geldern waren zugleich Präsidenten der Kriegs- und Domänenkommission von Preußisch-Geldern sowie Kommandeure des „Garnison-Regimentes Nr. 9“.

    Der Graf von Lottum – der Besieger der Unbesiegten. Graf Lottum gehörte einer alten klevischen Adelsfamilie an. Das 1342 erstmals erwähnte evangelische Adelsgeschlecht der Herren von Wylich erlangte am 7. März 1441 die Erhofmeisterwürde des Herzogtums Kleve, erwarb im 16. Jahrhundert die Herrschaft Lottum (an der Maas), stellte generationenlang die Drosten in der Hetter (bei Rees) und wurde am 1. Juli 1608 in den Freiherrenstand erhoben (von Erzherzog Albert von Österreich, Herzog von Geldern etc., für Johann Christoph von Wylich, Herrn auf Lottum), nachdem es sich vielfach in den Diensten des Kurfürsten von Brandenburg bewährt hatte. Philipp Karl Freiherr von Wylich und Lottum (1650–1719), Herr zu Lottum, Huet, Gronstein, Gribbenforst, Well und Ossenberg, Erbkämmerer des Herzogtums Kleve, stieg in der brandenburgischen Armee seit den 1670er-Jahren in den Feldzügen gegen Frankreich zum Oberst (1688) auf, wurde 1690 Generalmajor, 1694 Generalleutnant, war Chef des Regiments, aus dem 1740 die Leibgarde hervorgehen sollte, und Gouverneur von Spandau, wurde 1695 Oberhofmarschall und 1698 Oberdirektor aller kurfürstlichen Domänen. Nach dem Throntraktat erhob ihn der Kaiser am 20. Januar 1701 in den Reichsgrafenstand. Bei Ausbruch des Spanischen Erbfolgekrieges als Oberbefehlshaber der preußischen Truppen in niederländischen Diensten am Niederrhein bewährt, wurde Graf Lottum 1704 General der Infanterie, 1705 Obergouverneur der westfälischen Festungen, blieb aber bei der Feldarmee und erwies sich dort in der letzten Phase des Krieges als fähiger Feldherr. 1713 ernannte König Friedrich Wilhelm I. gleich bei seinem Regierungsantritt den ungewöhnlich reichen Oberpräsidenten der klevisch-märkischen Regierung, Gouverneur von Wesel, Drosten mehrerer Ämter und Kurator der Universität Duisburg zum Generalfeldmarschall.

    Dem König Friedrich Wilhelm I. gelang es infolge des Widerstandes der Landstände nicht, – wie beabsichtigt und wie im „Gotha“ fälschlicherweise trotzdem zu lesen ist –, Graf Lottum die Würde eines Bannerherren des Herzogtums Geldern und der Grafschaft Zutphen zu verleihen und ihm einen Sitz in der Ständeversammlung zu verschaffen (Graf Lottum war evangelisch und in diesem Gremium durften nach wie vor nur Katholiken sein). Erst ab 1749 gehörte ein Graf Lottum dem Landtag an, und dies nur ehrenhalber. – Der letzte der Familie, Hermann Ludwig Graf von Wylich und Lottum, übernahm 1860 durch Heirat das Fürstentum Putbus auf Rügen und wurde mit dem Prädikat Durchlaucht Mitglied des preußischen Herrenhauses.

    Ausblick. Geldern wurde Hauptstadt des Herzogtums Geldern „preußischen Anteils“, d.h. für das preußische Gebiet an Peel, Maas und Niers. 55 Orte in den heutigen Kreisen Kleve, Wesel und Viersen auf deutscher Seite sowie in der Provinz Limburg wurden von hier regiert. Auf dem Territorium des Herzogtums Geldern preußischen Anteils leben heute 176.000 Menschen auf deutscher und 175.000 auf niederländischer Seite in der Region. Die Zeit der großen Kriege und Belagerungen war für Geldern erst mal vorbei. Bis dahin war in der geldrischen Geschichte der Krieg der Normalzustand, mit allen seinen Schrecken, nun schrumpfte die Bedeutung der kleinen Ackerbürgerstadt. Geldern war zwar nun die neue Landeshauptstadt, aber die Festung verlor ihren strategisch wichtigen Stellenwert zugunsten von Wesel. Man lebte am westlichen Rande des preußischen Herrschaftsgebietes, von der großen Politik kaum noch wahrgenommen. Als Folge einer jahrelangen Besatzung war die Stadt Geldern überschuldet.

    In den westlichen Provinzen ist Preußen weder so erfolgreich gewesen, wie es die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts wahrhaben wollte, noch so erfolglos, wie es in jüngeren Darstellungen zuweilen scheinen mochte. Nach vielen Misserfolgen und Missgriffen setzte sich seit dem Siebenjährigen Krieg eine mehr an den Realitäten orientierte Politik durch, die von den Kammerbehörden und ihren Beamten gestützt wurde. Die Archivalien dokumentieren, dass die Verwaltung vor Ort überlegt und maßvoll regierte, dabei überkommene Rechte und die ständische Verfassung anerkannte (der Venloer Traktat von 1543 blieb bis zum Einfall der französischen Revolutionstruppen 1794 gültig). Mit den Reformern gewann seit etwa 1780 eine Generation an Einfluss, die die Sonderrolle der westlichen Provinzen tolerierte und gerade damit umso fester an die Monarchie band.

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    Glossar:

    Bastion = vorspringende Anlage im Hauptwall, meist in Dreiecksform, mit Geschützen bestückt, ersetzte die früheren Mauertürme und Bollwerke

    Contrescarpe = äußere Grabenwand, erdgeböscht oder mit einer Mauer verkleidet, vor ihr verläuft der gedeckte Weg

    Glacis = als freies Schussfeld angelegte, feindwärts flach geneigte Aufschüttung vor dem äußeren Grabenrand

    Kurtine = Mittelwall, zwischen zwei Bastionen gelegener, gradliniger Abschnitt des Hauptwalls

    Ravelin = Halbmond, am äußeren Rand des Hauptgrabens gegenüber der Kurtine gelegenes Werk

    Zircumvallationslinie = Umwallungs-, Einschließungs- oder Schanzlinie (ringsum die belagerte Stadt)

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    Dieser Artikel erscheint im GHK 2003.